Nachhaltig wirtschaften – solidarisch teilen

Interview mit Br. Stefan Federbusch ofm

Was beinhaltet der Titel Ihres kürzlich erschienenen Buches „Nachhaltig wirtschaften – solidarisch teilen?“
Nachhaltigkeit wird heute verstanden als Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit. Deutlich wird dies sehr schön in der Enzyklika von Papst Franziskus Laudato si, in der er die Umweltfrage mit der Gerechtigkeitsfrage koppelt. Eine nachhaltige ökologische Entwicklung darf nicht auf Kosten der Armen und Ausgegrenzten gehen, eine wirtschaftliche Entwicklung umgekehrt nicht zu Lasten der Umwelt und somit zu Lasten der kommenden Generationen. Es braucht eine Umstrukturierung unseres Wirtschaftens, die allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.

Sind die Menschen in Europa dazu bereit?
Laut unserer Verfassung soll die Wirtschaft dem Gemeinwohl dienen. Tatsächlich aber richtet sich unsere soziale Marktwirtschaft an den kapitalistischen Grundprinzipien von Konkurrenz und Gewinnstreben aus. Studien zeigen, dass der Mensch von Natur aus kein egoistisches Wesen ist, sondern eines, das sich nach gelingenden Beziehungen sehnt. Diese erreichen wir durch gegenseitige Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen, durch solidarisches Teilen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung funktioniert also nach ahumanen Grundsätzen. Ziel sollte es sein, die Wirtschaft an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen auszurichten und nicht nur an den vermeintlichen wie dem unbegrenzten Konsum. Es braucht tatsächlich so etwas wie einen Paradigmenwechsel, weil sich das kapitalistische Denken in Herz und Hirn der Menschen gefressen hat. Theoretisch dürfte den meisten klar sein, dass es so nicht weiter gehen kann, doch in der Praxis dürfte es große Widerstände geben.

Macht Geld denn nicht glücklich?
Eine praktische Erfahrung besteht darin, dass das Glück der Menschen nicht ausschließlich von materiellen Gütern abhängt. Ab einem bestimmten Punkt der materiellen Versorgung (ca. 25.000 USDollar jährlich) tritt eine Sättigung ein. Das Wohlbefinden hängt vielmehr von Faktoren wie gelingende Beziehungen, Leben in Frieden, Bildung und Gesundheit ab.

Deutschland ist eines der wirtschaftsstärksten Länder. Es profitiert also vom derzeitigen kapitalistischen Wirtschaftssystem. Warum sollten wir uns für eine Änderung einsetzen?
Laut einer Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung von 2012 wünschen sich acht von zehn Bundesbürgern „eine neue Wirtschaftsordnung“. Zweidrittel der Befragten glauben nicht, dass der Kapitalismus für einen „sozialen Ausgleich in der Gesellschaft“, den „Schutz der Umwelt“ oder einen „sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen“ sorge. Ebenso bezweifeln viele, dass Wirtschaftswachstum die eigene Lebensqualität erhöhe.

Das aktuelle Zauberwort lautet immer noch „Wirtschaftswachstum“. Seit 1967 gilt das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, das ein „angemessenes Wirtschaftswachstum“ zum Ziel hat. Was ist so problematisch am Wachstum?
Ich bin 1967 geboren. Im letzten halben Jahrhundert galt immer die Maxime: Wachstum ist das Ziel allen Wirtschaftens. Eine andere Alternative war und ist nicht vorgesehen. Drei problematische Faktoren möchte ich nennen:

  • Erstens die ökologischen Folgen des Wachstums. Die natürlichen Ressourcen unseres Planeten sind begrenzt. Deren Ausbeutung zerstört die Lebensräume heute und verringert die Lebensmöglichkeiten zukünftiger Generationen.
  • Zweitens die psychischen Folgen, die wir in Deutschland wahrnehmen können. Der Druck der Selbstoptierung, um mit den Anforderungen in Beruf und Gesellschaft mithalten zu können, ist enorm hoch. Früher gab es noch einen echten Feier-Abend, heute ist permanente Erreichbarkeit gefordert. Der beschleunigte Lebensstil führt zu einer steigenden Zahl von psychischen Erkrankungen wie Burnout. Seit 1999 sind die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen um 80 Prozent gestiegen.
  • Und drittens die zunehmende Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Untersuchungen haben gezeigt, dass Glück mit dem Grad von Gleichheit bzw. Ungleichheit in einer Gesellschaft zusammenhängt. Bei uns nimmt die Ungleichheit zu. Zweidrittel der Deutschen empfinden die derzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als ungerecht. Eine nur auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsordnung ist also ökologisch nicht akzeptabel, sie führt zu psychischen Belastungen sowie zu hohen Einkommensunterschieden und ungleichen Arbeitsbelastungen.

Wie sähe eine Alternative aus?
Eine Ressource, die es stärker zu entdecken gilt, ist der Zeitwohlstand. Es gibt nicht wenige, die ihre Arbeitszeit gerne reduzieren möchten und bereit sind, auf einen bestimmten Teil des Einkommens zu verzichten. Dabei geht es nicht darum, durch Technik eingesparte Zeit wie bisher gleich wieder zu verplanen, um noch mehr zu erleben, sondern tatsächlich die Zeit zu nutzen für das, was uns Freude macht. Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit um ein Viertel oder gar die Hälfte würde Zeit für andere Arbeitsbereiche ermöglichen: Zeit für Beziehungsarbeit in und außerhalb der Familie, Zeit für eigene Interessen (Persönlichkeitsentwicklung, Kunst und Kultur, Hobbies, Muße) und Zeit für ein Engagement zugunsten von gemeinwohlorientierten (und politischen) Tätigkeiten.

Welche Rolle spielt hier die Politik?
Die Politik schafft die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Veränderungen. Um eine gerechtere Verteilung der Einkommen zu erreichen, bedarf es höherer Steuern auf Vermögen, hohe Einkommen und auf Erbschaften. Eine sozial-ökologische Steuerreform verknüpft dies mit ökologischen Zielen, indem Arbeitsleistungen niedriger und natürliche Ressourcen höher besteuert werden als bisher. Auch kürzere Arbeitszeiten werden sich nur dann realisieren lassen, wenn sie von gesetzgeberischen Maßnahmen begleitet sind (Herabsetzung Höchstarbeitszeit, Mindestlöhne zur Verhinderung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, steuerliche Anreize für Teilzeitstellen usw.).

Was braucht es, um Schritte der Veränderung einzuleiten?
Zunächst eine Veränderung der Einstellung bzw. eine gesellschaftliche Debatte über die Frage, was ein gutes Leben ist. Bisher werden strukturelle Defizite zumeist auf Kosten des Individuums ausgeglichen, was zu den beschriebenen Folgen von Erkrankung führt. Wir brauchen eine Verständigung über unsere Werte. Davon hängt dann unser Umgang mit Arbeit, mit Geld und mit Zeit ab. Papst Franziskus verweist in seiner Enzyklika Laudato si zu Recht darauf, dass es einer spirituellen Grundlegung bedarf: „Die christliche Spiritualität schlägt ein anderes Verständnis von Lebensqualität vor und ermutigt zu einem prophetischen und kontemplativen Lebensstil, der fähig ist, sich zutiefst zu freuen, ohne auf Konsum versessen zu sein… Es handelt sich um die Überzeugung, dass „weniger mehr ist“… Die christliche Spiritualität regt zu einem Wachstum mit Mäßigkeit an und zu einer Fähigkeit, mit dem Wenigen froh zu sein“ (LS 222).

Was hindert uns daran, eine andere Wirtschaftsweise einzuführen?
Es existiert bisher kein Alternativmodell im Großen. Sehr wohl gibt es einige Bausteine bzw. Ideen, wie ein solches Modell aussehen könnte. Es braucht den Mut zum Experiment. Es braucht Felder, auf denen etwas ausprobiert wird nach dem Motto: Versuch und Irrtum. Nur so werden neue Wege entstehen. In der Regel finden sich in einer Gruppe, in der Gesellschaft rund 10 % Reformer, die Veränderungsprozesse vorantreiben. Die anderen 90 % verharren zunächst einmal in ihren eingefahrenen Mustern und Gewohnheiten. Sie werden sich dann leichter einklinken, wenn sie sehen, dass etwas funktioniert. Manchmal braucht es auch wie bei der Energiewende den Kairos, den günstigen Augenblick, wo plötzlich größere Veränderungen (Paradigmenwechsel) möglich werden, die zuvor undenkbar erschienen.

Wo finden sich solche Experimentierfelder?
Wir finden sie im Bereich des Geldes bei Regionalwährungen oder der Vergabe von Mikrokrediten. Im Bereich der Konsumreduzierung in Form von Tauschbörsen oder Reparaturwerkstätten. Im Bereich der Ökologie lassen sich das „Gardening“ (Gärtnern im öffentlichen Raum) oder das Teilen von Nahrungsmitten (Foodsharing) anführen. Im größeren Maßstab ist es beispielsweise das Konzept der Gemeinwohlwirtschaft. Hier wird als Erfolgsindikator nicht mehr das Bruttoinlandprodukt gemessen, bei dem auch umwelt- und sozialschädigendes Verhalten als „Erfolg“ zählt, sondern das Gemeinwohl-Produkt. Je ökologischer, sozialer, demokratischer und solidarischer Unternehmen handeln, desto erfolgreicher sind sie. Dabei wird die repräsentative Demokratie ergänzt durch eine partizipative und direkte Demokratie, d.h. das Volk beschließt als Souverän über wirtschaftliche Prozesse.

Gibt es Beispiele aus dem Bereich von Orden und Kirche?
Da Ordensleben vom Ansatz her ein alternatives und in gewissem Sinn auch subversives Leben ist, sollte es das bestehende Wirtschaftssystem im Sinne einer prophetischen Kritik in Frage stellen, nach Alternativen suchen und diese ad experimentum vorleben. In der Praxis bleiben wir Ordenschristen zumeist hinter diesem Anspruch zurück. Es gibt aber durchaus einige Gemeinschaften, die versuchen, ein kommunitäres einfaches Leben in größtmöglicher Selbstversorgung zu führen. Diese Ansätze gilt es zu stärken und auf eine Vielfalt von Gemeinschaftsformen auszudehnen. Papst Franziskus stellt fest: „Die Genügsamkeit, die unbefangen und bewusst gelebt wird, ist befreiend“ (LS 223). Diese Erfahrung der Befreiung gilt es verstärkt zu machen und sie den Menschen zu ermöglichen. Darin liegt eine Ressource und Kompetenz von Kirche und Orden.

Impulse von Bruder Stefan Federbusch

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